Heißes Pflaster

Bernd Heinrich ist Straßenmarkierer. Damit er und seine Kollegen arbeiten können, muss es draußen trocken und warm sein. Manchmal sind sie bei Temperaturen von 60 bis 80 Grad unterwegs, schätzt er. Zweimal wurde er außerdem schon von vorbeifahrenden Autos angefahren.

München, Landsberger Straße, 15 Uhr. Die Sommer-Sonne, die am Vormittag noch hinter Wolken verborgen war, strahlt jetzt mit voller Kraft. Bernd Heinrich, 45, steht mitten auf der stark befahrenen Straße. Sein Blick ist nach unten gerichtet. Heinrich ist Straßenmarkierer. Hinter sich hört er das Geräusch der anfahrenden Trambahn. Im Gesicht spürt er den Luftzug der Autos, die weniger als einen halben Meter entfernt an ihm vorbeifahren. Hinzu kommt der knatternde Lärm, der heiße Dampf seiner Verlegmaschine. Zweimal schon wurde Heinrich angefahren. „Aber nicht so schlimm“, sagt er und grinst schief unter seinem abgewetzten Cappy hervor.

Er wendet den Blick zurück auf die Straße, kniet sich mit gebeugtem Rücken über den Asphalt und kennzeichnet die Abstände, in denen die Markierungen später auf die Straße sollen. „Eine Parkbucht zum Beispiel hat meistens zwei Meter“, sagt Heinrich und deutet mit dem Metermaß an den Straßenrand. Wenn er Pause macht, sitzt er auf der Vorderbank des orangefarbenen Sprinters der Firma Pfnür, für die er seit 20 Jahren arbeitet, trinkt Spezi und isst ein Wurstbrot. Heinrich trägt ein blaues, ausgewaschenes T-Shirt, darüber eine Warnweste im Orangeton des Autos. Die Hose hat er über die Waden hochgekrempelt.

Mögen andere die Hitze, die auf Asphalt knallt, als unerträglich empfinden – für Heinrich und seine Kollegen ist sie eine Voraussetzung, um zu arbeiten. Es muss trocken und heiß sein, damit sie Münchens Straßen markieren können. Deshalb muss jede Sonnenstunde genutzt werden und deshalb ist das ein Saisonarbeiter-Job.

Macht ihm die Hitze denn gar nichts aus? „Alles Gewöhnungssache“, sagt Heinrich. Sonnencreme benutzt er schon lange nicht mehr. Einen besonderen Trick gegen die Hitze, den gebe es eigentlich nicht. Heinrich zuckt mit den Schultern. „Wenn es so richtig heiß ist“, sagt er, „dann höre ich auf zu trinken.“ Wie bitte? „Ja klar, dann schwitzt man auch nicht mehr so stark“, sagt Heinrich.

Neben neu markierten Parkbuchten, sorgen Heinrich und seine Kollegen auf der Landsberger Straße für einen neuen Mittel-und Außenstreifen sowie für Fußgängerüberwege an den Ampeln. Und das während normalen Betriebs auf den Straßen. Angst hat Heinrich keine, trotz seiner Arbeitsunfälle, die er schon hatte. Einmal hat ein Autofahrer auf der äußeren Linksabbiegerspur an der Ingolstädter Straße sein linkes Knie erwischt. Ein Zweites Mal ist ihm jemand über den Fuß gefahren. Beides ist gut verheilt. Einem ehemaligen Kollegen Heinrichs erging es schlimmer. Ihm wurde von einem vorbeifahrenden Auto die Hüfte zertrümmert. Danach war er arbeitsunfähig. „Das Problem ist, dass die Autofahrer einfach nur schnell an uns vorbei wollen. Anstatt zu bremsen, geben sie Gas“, sagt Heinrich. Er schüttelt den Kopf.

Multifunktionales 1,5-Tonnen-Gefährt
Das wichtigste Instrument zum Straßenmarkieren ist die Verlegmaschine. Sie sieht aus wie ein orangefarbener unförmiger Kasten und wiegt circa 1,5 Tonnen. In drei Schritten macht sie aus dem Asphalt eine mehrspurige Straße. Auf einer schmalen Ladefläche an ihrer Vorderseite sind zwei große Gasflaschen geladen. Sie befeuern den Brenner, der seitlich und nach unten geneigt Flammen auf die Straße spuckt. So ist der Asphalt sauber und trocken, bevor das weiße Heißplastik durch den ebenfalls seitlich angebrachten, rechteckigen Schieber mit 200 Grad langsam und linienförmig auf die Straße fließt. In einem dritten Schritt sprüht eine Düse am Ende der Maschine glitzernde Perlen aus Glas über die Linie. Sie sorgen für Reflektion und geben eine griffige Oberfläche. Der Straßenmarkierer, der oben lenkt, kann mit einem Hebel den Schieber heben und senken. So entstehen etwa die Abstände der Mittellinie. Er orientiert sich an den zuvor abgemessenen und mit Kreide gekennzeichneten Abständen.

Die „Kolonne“ fährt mit der Verlegmaschine zum Einsatzort einige hundert Meter entfernt. Einer steuert, zwei stehen hinten auf der Ablage für die Verkehrshütchen und einer sitzt oben auf. Die Maschine gibt ein knatterndes, gleichmäßiges Hämmern von sich. Wie ein dampfendes, schwerfälliges Monster walzt sie mit ihren 1,5 Tonnen langsam, aber gleichmäßig vorwärts. Der Auspuff vibriert im Takt. In einem Behälter auf der Maschine kocht bei 200 Grad das Heißplastik. Auf der Straße braucht es nur etwa fünf Minuten um zu trocknen. Ganz vorne sind zwei große rote Gasflaschen geladen. Sie befeuern den Brenner an der Seite der Maschine. Er schießt Flammen auf die Straße. So wird sie sauber und trocken, bevor das Plastik durch den sogenannten Schieber linienförmig auf die Straße fließt. Das kochende Plastik, die Flammen aus dem Brenner und die gespeicherte Hitze im Asphalt der Straße bringen Heinrich ins Schwitzen. Zusammen erzeugen die Sonne und die Hitzequellen am Boden eine Arbeits-Temperatur zwischen 60 und 80 Grad, schätzt Heinrich. Er lupft sein Cappy und wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Zum Schluss kommen weiß glitzernde Glasperlen auf die Verkehrslinien. Sie geben Halt und sorgen für die nötige Reflektion. Nach kurzer Zeit sind einige Meter Außenstreifen geschafft. „Genauigkeit“, sagt Heinrich über den Lärm hinweg, „das ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Straßenmarkierer haben muss.“ Die Verlegmaschine ist 15 Jahre alt, aber sie funktioniert einwandfrei. „Wir pflegen sie ja auch“, sagt Heinrich. Bald bekommen er und seine Kollegen ein neues Modell. Das hat dann viel mehr Computertechnik. Wenn das Plastik getrocknet ist und die Linien wieder überfahrbar sind, sammelt die Kolonne die Hütchen ein und gibt die Spur für den Verkehr frei. Sie kommunizieren dabei wenig. „Es gibt Tage, da reden wir während dem Arbeiten kein Wort. Wir sind fast wie ein altes Ehepaar“, sagt Heinrich. Die Kolonnen haben immer die gleichen Mitglieder. Das schafft Zusammenhalt.

Bernd Heinrich hat drei Söhne, einer davon überlege, auch Straßenmarkierer zu werden. „Das finde ich keine gute Idee“, sagt der Vater. Er selbst ist gelernter Gärtner, aber damit hat er damals kein Geld verdient. Als zufällig eine Stelle als Straßenmarkierer frei geworden ist, hat es genau gepasst. Heinrich möchte keinen anderen Beruf mehr machen. Für seinen Sohn wünscht er es sich dennoch nicht, weil es eben doch gefährlich sei, jeden Tag mitten im Verkehr zu stehen.